Deutschland, ein Sommermärchen – Gedanken einer ewig Gestrigen

Erinnert Ihr Euch noch an den Märchensommer 2006? Ich werde diesen Sommer 2006 niemals vergessen und würde sagen, dass es einer meiner glücklichsten und unbeschwertesten Sommer war, die ich bisher erlebte – auch in persönlicher Hinsicht.

Ich arbeitete damals im Rathaus eines kleinen, beschaulichen Städtchens. Es war Fußball Weltmeisterschaft, die in Deutschland ausgetragen wurde und in diesen vier WM-Wochen war ganz Deutschland außer Rand und Band. Es war wie eine Zeit außerhalb der Zeiten, so kam es mir vor. Im Rathaus wurde in diesen Tagen nicht viel gearbeitet. Fußball war das alles überragende Thema. Ich erinnere mich an einen Kollegen im Büro nebenan, der einen kleinen Mini-Fernseher hatte, so groß wie eine Zigarettenschachtel, den er während der Übertragung der Deutschland-Spiele in seinem Büro auf seinen Schreibtisch stellte. Schnell hatte es sich im Rathaus herumgesprochen und so kamen viele Kollegen aus den umliegenden Büros und versammelten sich um diesen Miniaturfernseher, in dem der Fußball in etwa so groß wie ein Staubkorn war. Eigentlich sah man gar nichts auf diesem kleinen Bildschirm. Aber das war uns egal. Es ging um das Gefühl dabei zu sein. Bei der Deutschen Nationalmannschaft. Diese durfte damals noch so heißen. Wir haben uns als ein Volk begriffen und fühlten uns großartig.

Durch meinen Vater war ich – zumindest was die Fußball Weltmeister- und Europameisterschaften betraf – schon immer begeistert dabei. So ein Turnier war schon etwas Aufregendes. Aber in diesem Sommer war alles anders. Ich hatte in diesen aufregenden Tagen mein Auto mit zwei Fähnchen bestückt, rechts und links hatte ich sie in die jeweiligen Autofensterscheiben geklemmt und bin stolz wie Bolle und voller Freude mit ihnen durch die Gegend gefahren. Und jedes Mal wenn ich andere mit den schwarz-rot-goldenen Devotionalien dekorierten Autos sah, freute ich mich. Manchmal winkte oder nickte man sich freundlich zu. Wir waren Gleichgesinnte und fühlten uns auf eine Art verbunden. Und was für lustige Dekorationen es gab. Einmal sah ich sogar einen Wagen, der komplett in schwarz-rot-Gold angemalt war. Ich habe mich herrlich amüsiert und bin glaube ich in diesen vier Wochen dieser Fußball-WM mit einer Art Dauergrinsen durch die Gegend gelaufen. Ach, war das schön!

In vielen Städten gab es Public Viewing und man traf sich dort, oft eingekleidet in voller Montur in den weißen Spieler-Trikots mit den unterschiedlichen Spielernamen der deutschen Nationalmannschaft und behängt mit Girlanden und sonstigen anderen lustigen schwarz-rot-goldenen Dekorationen. Auch viele Restaurants und Geschäfte stellten Fernseher auf und allerorts verwandelten sich Deutschlands Straßen und Häuser in ein schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Viele hängten Deutschland-Fahnen an ihre Fenster. So natürlich auch die Menschen anderer Nationen mit ihren Nationalflaggen. Damals war das noch nicht verwerflich, sich zu einer Nation zugehörig zu fühlen. Im Gegenteil. Gerade diese Zugehörigkeit war und ist es doch, die eine Verbindung zu den Anderen herstellt und sie generiert eben dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich wohlig und vertraut anfühlt. Ist das nicht etwas Wunderbares?

Kollektiver Freudentaumel

Im Rathaus, im Büro neben mir, saß meine liebe Kollegin und Freundin Petra. Wir waren beide fast unzertrennlich in diesem Sommer und begeisterten uns wie alle anderen für die Weltmeisterschaft. Am Spätnachmittag des Viertelfinal-Spiels Deutschland gegen Argentinien, es war ein Freitag, trafen wir uns nach der Arbeit bei mir zuhause und sahen uns das Spiel gemeinsam an. Die Straßen waren wie leer gefegt. Das Wetter war fantastisch und viele hatten ihre Fernseher auf die Terrasse oder in den Garten gestellt und verbanden das Spiele-Gucken mit einem Grillabend und luden dazu Freunde und Bekannte ein. So auch in dem Haus, in dem ich wohnte. Wir waren alle so aufgeregt. Viertelfinale gegen Argentinien. Die Spannung war kaum auszuhalten. Es knisterte regelrecht und vor lauter Aufregung konnten wir kaum etwas essen. Petra und ich saßen wie gebannt vor dem Fernseher. Es kam in diesem Spiel bis zum Elfmeterschießen, das Deutschland schließlich mit 4:2 gewann. Das letzte Tor verwandelte Borowski. Deutschland war im Halbfinale! Großartig! Was für eine Freude. Überall Jubelschreie und auch Petra und ich waren total aus dem Häuschen. Dann kam uns eine Idee. Wir schnappten uns eine Deutschlandfahne, die ich noch zuhause herumliegen hatte und fuhren dann mit Petras Audi-Cabriolet hupend in Richtung Innenstadt. Ich hielt die im lauen Abendwind flatternde Deutschland-Fahne in den Händen und ließ sie im Fahrtwind wehen. Schnell trafen wir auf andere Begeisterte und mit Fahnen dekorierte Autos und es bildete sich ein Autokorso, dem sich immer mehr Fahrzeuge anschlossen. Was für ein Spaß. Wir waren ausgelassen und haben so gelacht an diesem Abend, den ich niemals vergessen werde. Auch Petra, die ich leider aus den Augen verloren habe sowie diesen Augenblick und dieses Lebensgefühl werde ich niemals vergessen. Deutschland war im kollektiven Freudentaumel.

Genau so groß wie die Freude über diesen Sieg im Viertelfinale war natürlich auch die Enttäuschung nach dem WM-Aus 0:2 im Halbfinale gegen den Angst-Gegner Italien. Nach Verlängerung schossen Fabio Grosso in der 119. und dann noch Alessandro Del Piero in der 120. Minute die Tore, die Deutschlands Höhenflug jäh beendeten und den schönen Traum vom Finale im eigenen Land wie eine Seifenblase zerplatzen ließen. Wieder mal Italien. Aber auch in dieser Trauer waren wir als Volk vereint. Wir fühlten uns verbunden und trockneten gemeinsam unsere Tränen.

Wir haben uns als ein Volk – als eine Nation – begriffen. Was ist passiert, dass wir uns das haben nehmen lassen? Wann hat es angefangen, dass wir uns als Volk entzweit haben?

Ich gebe zu, ich trauere dieser Zeit hinterher. Auf einmal ist es so gekommen, dass ich mich von einem Teil meines eigenen Volkes als eine Ewig-Gestrige beschimpfen lassen muss. Weil ich wehmütig an einer Zeit hänge, die wohl für immer vergangen sein wird und an einem Land, das es so wohl niemals mehr geben wird.

Früher war es besser!

Wenn ich den Vergleich anstelle zwischen dem Deutschland von 2006 und den Jahren zuvor und dem Deutschland heute im Jahre 2019, dann komme ich zu dem Schluss: Ja, früher war es besser!

Früher konnte ich als Mädchen und als Frau unbehelligt in ein Freibad gehen oder mich auf eine Parkbank setzen, ohne Angst um Leib und Leben zu haben. Früher wurden in dem kleinen Städtchen, in dem ich wohnte, abends die Bürgersteige hochgeklappt – heute werden die Messer aufgeklappt. Früher waren weniger Messer. Früher wurden auf Weihnachtsmärkten noch Weihnachtslieder gespielt und die Schaumküsse durften noch Negerküsse heißen. Früher durfte ich noch die „Pucki-Bücher“ von Magda Trott lesen, ohne dafür gemaßregelt zu werden, diese wären frauenverächtlich. Ich wüsste nicht, in welcher Beziehung mir die Lektüre dieser wunderschönen Kindergeschichten der Försterstochter „Pucki“ geschadet haben sollen? Warum will man mir das nun einreden?

Ich habe immer gerne in Deutschland gelebt und bin nach einem Urlaub immer wieder gerne und voller Freude in mein Heimatland zurückgekommen. Ich erfreute mich an sauberen und gepflegten Straßen und Parkanlagen, an einen gemütlichen Schwatz am Gartenzaun mit dem Nachbarn und an eine insgesamt unbeschwerte Zeit, in der es noch keine Sprachpolizei gab und wo ein Mann noch ein Mann und eine Frau eine Frau sein durfte.

Ich glaube, nach der Wiedervereinigung 1989 war das Sommermärchen 2006 der letzte große Moment in unserem Land, an dem wir als Volk vereinigt waren, uns verbunden fühlten und uns als eine Nation begriffen haben.
Was ist nur seither passiert in und mit diesem Land und mit seinen Menschen?
Warum haben wir uns das nehmen lassen?

Nun bin ich wehmütig geworden.  Ich habe keine endgültige Antwort auf diese Fragen.
Ich sehe, dass ein Land ohne Not wie im Zeitraffer an die Wand gefahren wird unter dem Jubel einer Ökosekte und ihrer Apologeten, die in allen Blockparteien sitzen und sich gemeinsam gegen ihr Volk verschworen haben. Ich sehe, wie ein Riss durch die Gesellschaft geht und wie aus ehemals Freunden plötzlich unerbittliche Feinde geworden sind.

Wo soll das nur enden?

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7 Kommentare zu „Deutschland, ein Sommermärchen – Gedanken einer ewig Gestrigen

  1. Wunderbarer Text, der den Glücksmoment vom Sommer 2006 nochmals so richtig aufkommen lässt. Die Tragik aber ist, dass die Fussball Weltmeisterschaft keine Nachhaltigkeit erzeugt, sondern bestens in das Schema “Brot und Spiele” passt. Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus, zeigt wie es besser geht, zB Frankreich 14. Juli oder Amerika 4. Juli. Auch wenn man die angeberischen Militärparaden (FR) ausklammert, so wird überall im ganzen Land ausgelassen gefeiert, egal welcher politischen Partei man sich hingezogen fühlt. Und in Deutschland, da “feiert” die politische Klasse den Tag der Deutschen Einheit, um mit voller Inbrunst am nächsten Tag bis zum nächsten Tag der Deutschen Einheit die Ostdeutschen gegen die Westdeutschen gegeneinander auszuspielen. „Brot und Spiele!“, das einzige was in Deutschland nachhaltigen Bestand hat.

    Wer seine Wurzeln nicht kennt, kennt keinen Halt. Stefan Zweig

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  2. Werte Inorbit, Du schreibst “seit 2010 geht es mit Deutschland steil bergab”. Ja das stimmt mit dem Bergabgehen, über das Jahr könnte man noch heftig diskutieren. Deutschland hat in seiner Geschichte schon xmal Wellentäler durchschreiten müssen und noch weitere werden dem jetzigen folgen. Aber warum hat es Deutschland immer wieder geschafft aufzustehen und von Neuem zu erblühen?
    Weil Menschen an Deutschland geglaubt haben, anpackten und Deutschland wieder zu dem machten auf das man stolz sein kann. Dies ist die Aufgabe eines jeden einzelnen. Darum meine Bitte an Dich: Nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern mit einer gesunden. positiven Einstellung, schauen an welchen kleinen Stellschrauben man drehen könnte, um wieder aus dem Wellental zu kommen.

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  3. Es ging mir ganz genauso, ich weiß noch, wie heiß dieser Sommer war und wie lau die Nächte, in denen man in der Pfalz fast die ganze Nacht feiern konnte. Alles wirkte positiv und freudvoll, die Menschen sahen einander lächelnd an, kein brüsker Ton, keine unvermittelt auftretenden Feindseligkeit. Wie im Flow wurde man durch diese Wochen getragen.
    Deine Zeilen wirkten wie ein Seelenöffner, nicht nur die Erinnerung, auch die Atmosphäre, die innere Stimmungslage, alles war wieder da, als hätte man für Sekunden die Möglichkeit erhalten, sich direkt hinein zu beamen.
    Du hast ein großartiges Talent und dazu eine innere Haltung, die so selten geworden ist, in den heutigen Tagen.
    Ich werde Deine Zeilen weiterhin lesen, aber auch jeden, der mir nahesteht oder dem ich mich verbunden fühle, auf dieses literarische Kleinod aufmerksam machen.
    Vielen Dank für die Worte, die zu einer Geschichte und sogleich zu einem inneren Erlebnis wurden.

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    1. Ich weiß gerade nicht was ich sagen soll. Freue mich riesig über Deine Worte und dass sie Dein Herz berührt haben. Ja, dieser Sommer wird auch mir immer unvergessen bleiben. Vielen lieben Dank 🙂 Herzliche Grüße und bis bald!

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